Gehör und Gehirn

Studien untersuchen den Zusammenhang zwischen Hörversorgung und dem Erhalt kognitiver Leistungen

Die Wirkungszusammenhänge zwischen unversorgter Schwerhörigkeit und dem Abbau der kognitiven Leistungsfähigkeit werden intensiv beforscht. Einen eindeutigen kausalen Zusammenhang belegen bislang veröffentlichte Studien nicht. Wir erheben nicht den Anspruch, die medizinisch-wissenschaftliche Befundlage in diesem Beitrag abschließend und vollumfänglich darzulegen.

Zahlreiche Untersuchungen widmen sich in jüngerer Zeit dem Zusammenhang zwischen unversorgter Schwerhörigkeit und dem Abbau kognitiver Leistungen, insbesondere Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Gedächtnisleistung sowie Lern- und Problemlösefähigkeit. Weltweit große Aufmerksamkeit erfuhr der Bericht der internationalen Lancet-Kommission, welche den möglichen Einfluss einer unversorgten Schwerhörigkeit im mittleren Lebensalter auf das spätere Demenzrisiko untersucht hat (Livingston et al. 2020). Einen kausalen Zusammenhang identifiziert die Studie nicht.

Im Januar 2023 berichtete das Deutsche Ärzteblatt, dass „eine ausgeprägte Schwerhörigkeit (…) einer US-Studie zufolge mit einem erhöhten Demenzrisiko assoziiert“ sein könnte. Bezug genommen wird auf eine Studie des Cochlear Center for Hearing and Public Health an der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health in Baltimore, USA, (2023; DOI: 10.1001/jama.2022.20954). Auch die Autoren dieser Studie vermuten einen Zusammenhang zwischen dem Tragen von Hörgeräten und dem Abmildern eines höheren Demenzrisikos, behaupten aber ebenfalls keinen Kausalzusammenhang.

Was ist Demenz?

Als Demenz wird ein Muster von Symptomen unterschiedlicher Erkrankungen bezeichnet, deren Hauptmerkmal eine Verschlechterung mehrerer wahrnehmender und erkennender (kognitiver) Fähigkeiten ist. Sie kann durch verschiedene Erkrankungen des Gehirns entstehen. Der Begriff, abgeleitet vom lateinischen demens („unvernünftig“‚ „ohne Verstand“) kann auch mit „Abnehmen der Verstandeskraft“ übersetzt werden.

Die Symptome der Demenz umfassen Einbußen kognitiver, emotionaler und sozialer Fähigkeiten. Vor allem betroffen sind Kurzzeitgedächtnis, Denkvermögen sowie Sprache und Motorik. Manche Formen können auch zu einer Veränderung der Persönlichkeit führen. Wesentlich für eine Demenz ist der Verlust von Fähigkeiten, die im früheren Lebensverlauf erworben wurden. Häufigste und bekannteste Form einer Demenz ist die Alzheimer-Krankheit.

Bedeutung des Gehirns für Hören und Verstehen

Wenn das Gehirn im Fall unbehandelter Schwerhörigkeit über lange Zeit zu wenige akustische Signale erhält, kann das Folgen haben:

Zum einen können bestimmte, für das Hörverständnis relevante Bereiche im Gehirn nicht mehr mit Informationen versorgt werden. Aktive Gehirnareale können inaktiv werden und ihre Fähigkeiten verlieren.

Zum anderen kann das Gehirn aufgrund seiner Plastizität die Funktion des Sprachverstehens in andere Areale verlagern. Das kann bei unversorgten Schwerhörigen unter anderem daran deutlich werden, dass sie nach einiger Zeit in der Lage sind, Worte von den Lippen ihrer Gesprächspartner abzulesen. Auch kann das Gehirn lernen, Lücken unvollständig gehörter Sprachinformationen zu füllen, um sich Inhalte zu erschließen, die akustisch nicht wahrgenommen wurden. Der inhaltliche oder nonverbale Kontext einer Unterhaltung wird dann bemüht, um z.B. zwischen „Fisch“ und „Tisch“ oder zwischen „Wind“ und „Kind“ zu unterscheiden, wenn gewisse Laute nicht mehr wahrgenommen werden und einzelne Worte dadurch uneindeutig bleiben.

Das Gehirn kann das Hören verlernen

Die umfangreichen Kompensationsbemühungen des Gehirns können ihrerseits zwei Folgen haben:

Zum einen können sie dafür sorgen, dass eine Hörminderung lange Zeit (mitunter über mehrere Jahre) unentdeckt bleibt, weil die unversorgten Schwerhörigen neue Techniken (wie das Lippenlesen oder das „Lücken-Füllen“) erlernen und perfektionieren, um ihre Schwerhörigkeit – bewusst oder unbewusst – zu kaschieren. Unter Umständen täuscht das ihnen selbst und ihrer Umgebung vor, noch gut zu hören. Die Akzeptanz einer eigenen Schwerhörigkeit kann – ebenso wie die spätere Umgewöhnung an das „richtige Hören“ mit Hörsystemen – erschwert werden, je länger das akustische Hören kompensiert wird. In jedem Fall kann die Gewöhnung an die Kompensationsmechanismen des Gehirns zu einer Hör-Entwöhnung und zu einem Hinauszögern der erforderlichen hörakustischen Versorgung führen.

Eine weitere Folge könnte sein, dass die ersatzweise zur Hör-Kompensation aktivierten und dafür „umprogrammierten“ Hirnareale die zuvor wahrgenommenen Aufgaben nicht mehr auszuüben vermögen. Darunter könnten andere wahrnehmende und erkennende (sogenannte kognitive) Funktionen leiden. Die kognitive Leistungsfähigkeit des Gehirns könnte dadurch insgesamt abnehmen.

PD Dr. Jan Löhler, Präsident des Berufsverbandes der Hals-Nasen-Ohrenärzte (BVHNO) erläutert: „Der Zusammenhang zwischen unversorgter Schwerhörigkeit und dem Nachlassen der kognitiven Leistungsfähigkeit wird derzeit intensiv beforscht. Zwar ist ein kausaler Zusammenhang nicht zweifelsfrei bewiesen, doch mehren sich mit jeder neuen Studie zu diesem Thema Hinweise auf mögliche Wirkungszusammenhänge zwischen unversorgter Schwerhörigkeit – vor allem im mittleren Lebensalter – und einem höheren Demenzrisiko im Alter“.

Gesund altern – mit Hörsystemen

Der Erhalt der Hörgesundheit für gesundes Altern erfährt derzeit große Aufmerksamkeit. Dabei geht es nicht nur um die Bewahrung der kognitiven Leistungsfähigkeit, sondern auch um mentale, soziale und physische Aspekte. In der bundesweiten EuroTrak-Umfrage aus dem Jahr 2022 berichten Menschen, die mit einer Schwerhörigkeit leben, dass sich zum Beispiel ihre Schlafqualität verbessert habe, seit sie mit Hörgeräten versorgt wurden. Auch sei ihr Sicherheitsgefühl im Straßenverkehr gestiegen, abendlicher körperlicher und mentaler Stress sei hingegen gesunken.

Lesen Sie dazu den Beitrag zu den möglichen Folgen einer unversorgten Schwerhörigkeit.

 

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