Genetisch bedingter Hörverlust bei Kindern: Gentherapiestudie macht Hoffnung

Genetisch bedingter Hörverlust bei Kindern: Gentherapiestudie macht Hoffnung

Wir stellen aktuelle medizinische Erkenntnisse, Studien und therapeutische Ansätze vor, die neue Perspektiven für die Behandlung von Hörverlust eröffnen. In Teil 1 geht es um das „Gen-Taxi“ und die Vision, zukünftig eine Gentherapie bei Hörverlust einzusetzen.

Einsteigen, losfahren, aussteigen: Taxis bringen uns zuverlässig von einem Ort zum anderen. Diese Eigenschaft macht sich zukünftig auch die Medizin zunutze. In diesem Fall werden allerdings keine Menschen transportiert, sondern genetische Informationen, mit denen zukünftig genetisch bedingter Hörverlust wie die Otoferlin-Taubheit behandelt werden könnte.

Hörverlust von Geburt an

Die Otoferlin-Taubheit gehört zu den sogenannten „Seltenen Erkrankungen“. Weltweit sind nur etwa 200.000 Menschen von diesem Gendefekt betroffen. Sie kommen mit einem beidseitig stark eingeschränkten Hörvermögen oder gar vollständigem Hörverlust zur Welt.

Ursache für diese Schwerhörigkeit ist ein Defekt im OTOF-Gen. Es sorgt eigentlich dafür, dass die Sinneszellen, die Hörreize in Form elektrischer Signale ins Gehirn leiten, richtig funktionieren. Fehlt dieses Protein, kommen keine akustischen Signale im Gehirn an, das Kind kommt mit Taubheit auf die Welt.

Genetisch bedingter Hörverlust ist die Ursache von bis zu 80 Prozent aller Fälle von Taubheit oder starkem Hörverlust bei Kindern und Neugeborenen vor dem Spracherwerb. Der OTOF-Gendefekt ist hierbei für ein bis acht Prozent der vererbten Schwerhörigkeit verantwortlich. Nach Schätzungen der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde Tübingen werden in Deutschland jedes Jahr 15 bis 25 Kinder mit dieser speziellen Form des genetisch bedingten Hörverlusts geboren.

Klinische Gentherapiestudie macht Hoffnung aufs Hören

Bisher erhalten Kinder mit genetisch bedingtem Hörverlust oft Cochlea-Implantate, die über eine in die Hörschnecke eingeführte Elektrode den Hörnerv stimulieren. Die Forschung an Gentherapien bei Hörverlust eröffnet nun erste Chancen auf dem Weg zu neuen Behandlungsmöglichkeiten. Die Idee: Das fehlende Gen direkt ins Innenohr bringen und den Defekt korrigieren. Prof. Dr. Ellen Reisinger und ihr Team am Universitätsklinikum Tübingen haben bereits 2019 gezeigt, dass diese Methode bei Mäusen wirksam ist.

So funktioniert ein Gen-Taxi

Um die korrekte Version des OTOF-Gens in den Körper einzuschleusen, nutzen die Forscher ein ungefährliches Virus als Transportmittel. Dieses „Gen-Taxi“ befördern sie mit einer Spritze über eine kleine Öffnung im Knochen direkt dorthin, wo es hingehört: in die Hörschnecke. Dort angekommen, setzt es die korrekte genetische Information frei, die bislang gefehlt hat oder defekt war. Das reparierte Gen kann dafür sorgen, dass die Haarzellen wieder das nötige Protein produzieren und Schall in elektrische Signale umwandeln, die das Gehirn als Hörreiz verarbeiten kann. Die Wirkung der Behandlung soll mindestens langfristig, optimalerweise sogar lebenslang anhalten.

Erste Ergebnisse aus vergangenen, internationalen, voneinander unabhängigen Studien sind vielversprechend: Kinder, die mit dem Gen-Taxi behandelt wurden, waren etwa sechs Monate später in der Lage, auf Geräusche oder Musik zu reagieren. Einige verstanden bereits einfache Worte oder ihren Namen und begannen sogar, selbst zu sprechen.

In Deutschland war das Universitätsklinikum Tübingen im April 2025 die erste Klinik, die diese neuartige Behandlung von genetisch bedingtem Hörverlust im Fall der Otoferlin-Taubheit erprobt. Die Mediziner hoffen nun auf ähnlich positive Ergebnisse.

Deshalb ist gutes Hören schon im Kindesalter so wichtig

Hören bedeutet mehr als nur Geräusche wahrzunehmen: Es ist die Grundlage für Sprachentwicklung, soziale Bindung und Bildung. Kinder, die schlecht oder nichts hören, lernen nur schwer sprechen. Damit sich die Sprache altersgerecht entwickeln kann, sollten Hörstörungen am besten direkt im ersten Lebensjahr versorgt werden.

Dafür gibt es zum Beispiel das Neugeborenen-Hörscreening in den ersten Lebenstagen: Innerhalb weniger Minuten untersucht ein Kinderarzt bei Neugeborenen schmerzfrei über die Messung sogenannte otoakustischen Emissionen – aktive, akustische Aussendungen des Innenohrs – ob das Innenohr des Neugeborenen funktionsfähig ist.

Sinnvolle Ergänzung zu Cochlea-Implantaten und Hörsystemen

Die Uniklinik Tübingen betont im Zusammenhang mit ihrer Forschung explizit, dass die neue Gentherapie nicht im Wettbewerb mit Cochlea-Implantaten steht. Cochlea-Implantate sind bislang eine effektive Lösung, um Betroffenen mehr Lebensqualität zu bieten. Sie sind auch für andere Formen des Hörverlustes bei Kindern und Erwachsenen anwendbar und werden auch künftig eine der bestmöglichen Therapien für eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit darstellen. Cochlea-Implantate eignen sich weiterhin insbesondere für Hörverlust bei Kindern, die aus verschiedenen Gründen nicht für die klinische Gentherapiestudie in Frage kommen.

Noch funktioniert das Gen-Taxi nur für eine kleine Gruppe von Personen, die von genetisch bedingtem Hörverlust betroffen sind. Denn es gibt über 150 verschiedene genetische Ursachen für eine Innenohrtaubheit. Nur ein kleiner Bruchteil, wie die Otoferlin-Taubheit, ist erforscht oder für eine Therapie überhaupt zugänglich. Forschende weltweit arbeiten daran, die Methode weiterzuentwickeln. Die Hoffnung ist, dass künftig auch andere Formen von genetischer Innenohrschwerhörigkeit gezielt mit ähnlichen Gentherapien behandelbar sind.

Ein Durchbruch für die Hörmedizin

Auch wenn es wohl noch viele Jahre dauern kann, bis das Gen-Taxi in der Breite angewendet werden kann, macht die Forschung bereits heute Mut. Sie zeigt, dass neuartige Gentherapien das Potenzial haben, genetisch bedingte Schwerhörigkeit gezielt zu behandeln und die Hörmedizin damit grundlegend zu verändern. Für die Sprachentwicklung und soziale Teilhabe von Kindern mit Schwerhörigkeit oder Taubheit bedeutet diese Innovation damit einen großen Durchbruch.

Gentherapien bei Hörverlust könnten Hörgeräte und Cochlea-Implantate sinnvoll ergänzen. Unabhängig davon, für welche Lösung sich Betroffene und ihre Familien entscheiden: Wichtig ist, der Ursache von Hörverlust bei Kindern und Erwachsenen auf den Grund zu gehen und sie bestmöglich zu versorgen. Wie sich eine unbehandelte Schwerhörigkeit auf die Lebensqualität und körperliche sowie mentale Gesundheit auswirken kann, lesen Sie hier.

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